Hunderte kleine Töpfe aus Torf stapeln sich in mehreren Einkaufswagen im Lagerraum des Ladens „Natur Erlebniswelt“ in Aschheim im Münchner Nordosten. Dutzende Kübel voll mit Erde türmen sich direkt dahinter im spärlich beleuchteten Aufzuchtraum auf und erwecken den Eindruck, als hätte es jemand beim Aufräumen nicht ganz so genau genommen. Dabei haben sich die etwa 30 Polizeibeamte am Donnerstag nahezu neun Stunden Zeit genommen, um die Räumlichkeiten des Hanfladens genau unter die Lupe zu nehmen – und etwa 1400 Cannabis-Setzlinge abzuschneiden, einzutüten und mitzunehmen.
Die Aktion erfolgte auf Anordnung der Staatsanwaltschaft München I und war gegen Wenzel Cerveny gerichtet, dem die Anklagebehörde unerlaubten Handel mit Cannabis vorwirft, und die ein Verfahren gegen ihn eröffnet hat. Es ist das mittlerweile 18. gegen den 64-Jährigen, dessen Frau als Geschäftsführerin den Laden in Aschheim leitet, das nach der Eröffnung als „Haschheim“ Schlagzeilen machte. Cerveny selbst ist dort nur angestellt.
Polizeibeamte waren vergangene Woche aber nicht nur in Aschheim zu Gast, sondern durchsuchten auch zwei Hanfläden im Tal und in der Einsteinstraße in München, die Cervenys Sohn Alexander als Geschäftsführer leitet. Auch gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet; es ist sein bisher sechstes. Und weil trotz der zahlreichen Ermittlungsverfahren lediglich ein Fall gegen Wenzel Cerveny zur Anklage gebracht worden ist, wittern Vater und Sohn einen Furor der Anklagebehörden – insbesondere der Staatsanwaltschaft München I.

Die beiden empfangen einen Tag nach der Razzia in Aschheim in der Erlebniswelt. Sie haben einen Stapel an Unterlagen dabei: Abschriften der Ermittlungsbehörden, Schreiben ihres Anwalts, zwei Gutachten, die sich damit beschäftigen, wann ein Setzling ein Setzling und eben keine Pflanze ist. Denn genau darum gehe es, sagt Alexander Cerveny.
In einem der beiden Gutachten wird erläutert, dass dann von einem Setzling – und eben keiner Cannabis-Pflanze – gesprochen werden kann, wenn dieser noch nicht blüht und in einem Topf mit einem Fassungsvermögen von weniger als einem Liter großgezogen wird. „Und daran haben wir uns immer gehalten“, sagt Alexander Cerveny. „Es kommt ja auch kein Kunde auf die Idee, einen Setzling abzuschneiden, den zu trocken und zu rauchen. Es rauchen alle nur die Blüten.“
Warum aber haben es die Staatsanwaltschaften seit 2019 immer wieder auf die Cervenys abgesehen, die auch Läden in Ingolstadt, Landshut, Augsburg und Erding betreiben? Mit dieser Frage haben sich auch die Grünen im Landtag beschäftigt, die auf die Fülle der Ermittlungsverfahren gegen Wenzel und Alexander Cerveny aufmerksam geworden sind. Mit einer schriftlichen Anfrage haben sich die Landtagsabgeordneten Toni Schuberl und Andreas Hanna-Krahl an Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) gewandt; die Antworten kamen schließlich Ende März aus dem bayerischen Justizministerium.
Dabei wurde deutlich, dass gegen beide nahezu alle Ermittlungsverfahren eingestellt wurden. Auch deshalb warfen die beiden Abgeordneten die Frage auf, welche Lehren die Staatsregierung aus „diesen erfolglosen Verfahren“ ziehe. Die Antwort aus dem Justizministerium: Die Staatsanwaltschaften seien gesetzlich zum Einschreiten verpflichtet, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten“ bestünden. Dieser entsprechende Anfangsverdacht habe bei den Ermittlungsverfahren vorgelegen.
Allein 13 der 18 Ermittlungsverfahren gegen Wenzel Cerveny hat die Staatsanwaltschaft München I eingeleitet. Dennoch will Grünen-Abgeordneter Toni Schuberl nicht von einer politisch motivierten Staatsanwaltschaft sprechen. „Die Staatsanwaltschaft macht ihren Job. Aber es ist die Staatsregierung, die ein Gesetz hart auslegt“, sagt der Passauer. „Mit solchen Razzien gegen kleine Läden werden Ressourcen bei der Polizei vergeudet. Es handelt sich um reine Symbolpolitik von Markus Söder.“ Vielmehr sei es wichtig, das Cannabis-Gesetz zu verbessern, um den Schwarzmarkt auszutrocknen. „Darin sind sich eigentlich alle einig“, sagt Schuberl.
Die Staatsanwaltschaft München verweist darauf, dass auch andere Anklagebehörden gegen die beiden Cervenys ermitteln würden. Zudem erläutert Pressesprecherin Anne Leiding, dass das „Hauptverfahren“ gegen Wenzel Cerveny aus dem Jahr 2019, das sich mit zwei seiner CBD-Läden befasst, mit einer Anklage zum Landgericht München I abgeschlossen wurde. Nach der Novellierung des Konsumcannabisgesetzes wurde es von dort an das Amtsgericht übertragen, weil sich die Straferwartung gesenkt hatte; das Verfahren ist dort noch anhängig, der Prozess soll Mitte Juni beginnen. Die Staatsanwaltschaft räumt dennoch ein, dass zahlreiche Verfahren eingestellt wurden. Bei den aktuellen Ermittlungen, so Leiding, gehe es aber „um den Handel mit echten, also deutlich THC-haltigen Cannabispflanzen“.

Am Tag nach der Razzia in Aschheim ist Wenzel Cerveny vormittags auf dem Weg zurück aus Niederbayern. Dort hat er mehrere Umzugskisten mit beschlagnahmter Ware abgeholt, die ihm vor drei Jahren bei einer Razzia in seinem Laden in Landshut abgenommen worden waren. Darunter Hanftee, Öle, CBD-Kaugummis. Auch Verkaufsware aus seinem Erdinger Laden aus einer Razzia von vor drei Jahren wurde ihm unlängst zurückgegeben, nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn eingestellt hatte.
Es stand der Verdacht im Raum, er habe Cannabis-Produkte verkauft, die den gesetzlich zulässigen THC-Grenzwert von 0,3 Prozent überschritten hätten – dieser aber hatte sich nicht bestätigt. „Mit diesen ganzen Razzien wird nur Steuergeld für eine Hexenjagd gegen uns verschwendet“, sagt Wenzel Cerveny. Sein Sohn Alexander ergänzt: „Die Staatsanwaltschaften ziehen sich da etwas aus der Nase. Ob das politisch motiviert ist, kann ich nur mutmaßen.“
Der immer wiederkehrende Anfangsverdacht samt Ermittlungsverfahren und Razzien gegen die Cervenys hinterlässt mittlerweile auch finanzielle Spuren. Allein den Verlust der etwa 1400 Setzlinge bei der Razzia in Aschheim beziffert Wenzel Cerveny auf etwa 30 000 Euro. Auch die Einbußen durch beschlagnahmte Ware seien enorm, so Cerveny; auf Entschädigung durch den Freistaat Bayern könne er nicht hoffen. Die Mietschulden in der Aschheimer Erlebniswelt belaufen sich mittlerweile auf 120 000 Euro – spätestens im August soll Schluss sein mit dem Hanf-Geschäft im Münchner Nordosten. „Weil wir ohne den Verkauf von Setzlingen einfach nicht überlebensfähig sind“, sagt Wenzel Cerveny. Es droht die Insolvenz. Er überlege, mit dem Geschäft nach Trudering zu ziehen.
Seinen Plan, in Aschheim einen Cannabis-Club zu eröffnen, hat er längst begraben. „Cannabis-Clubs in Bayern sind dank der Söder-Politik tot“, sagt der Unternehmer. Aber auch die Gemeinde Aschheim hat ihm beim Aufbau des Clubs Steine in den Weg gelegt, indem sie kurzerhand in unmittelbarer Nähe der Erlebniswelt einen kleinen Spielplatz eingerichtet hat. Und der liegt weniger als 200 Meter – dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand – von den mittlerweile komplett leer geräumten Lagerhallen der Cannabis-Erlebniswelt entfernt.