Gedenkfeier für Theodoros Boulgarides„Es ging nie wirklich um Aufklärung, es ging um Vorurteile“

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Keine Tanz-Aufführung, sondern Teil einer Gedenkfeier: Die griechische Volkstanzgruppe Pontos erinnerte an Theodoros Boulgarides.
Keine Tanz-Aufführung, sondern Teil einer Gedenkfeier: Die griechische Volkstanzgruppe Pontos erinnerte an Theodoros Boulgarides. (Foto: Johannes Simon)

200 Menschen solidarisieren sich vor dem Karlstor mit den Opfern rassistischer Anschläge. Mandy und Michaela Boulgarides, die Töchter des Münchner Mordopfers, üben harsche Kritik an den Sicherheitsbehörden und der Presse.

Von Andreas Schubert

Wer am frühen Sonntagnachmittag zufällig über den Stachus schlenderte und den Tänzerinnen und Tänzern des Vereins der Griechen aus Pontos zuschaute, mag es für einen hübschen Programmpunkt des Stadtfestes gehalten haben. Menschen in traditionellen Gewändern und mit lächelnden Mienen, ein jubelndes Publikum. Doch die Darbietung gehörte zum Rahmenprogramm eines ernsthaften und traurigen Anlasses: der Gedenkfeier für Theodoros Boulgarides, der vor genau 20 Jahren, am 15. Juni 2005, im Münchner Westend von den Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in seinem Laden erschossen wurde. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hießen seine Mörder, ihr Motiv: Rassismus.

Der NSU mordete in ganz Deutschland. Auch dieser Opfer wurde am Sonntag gedacht, ihre Namen lauteten Enver Şimşek, Habil Kılıç, Süleyman Taşköprü, Mehmet Turgut, Abdurrahim Özüdoğru, İsmail Yaşar, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter. Sie standen unter dem Namen von Boulgarides auf einem Transparent, das auf der Bühne am Stachus hing. Niemand soll vergessen werden – das war eine der Aussagen der Veranstaltung. Und so waren nicht nur Freunde und Angehörige von Theodoros Boulgarides zur Gedenkfeier gekommen, sondern auch von anderen Opfern rassistischer Anschläge.

Etwa 200 Menschen hatten sich vor dem Karlstor versammelt, um sich mit ihnen solidarisch zu zeigen und ihre Kritik am Umgang mit rechtsextrem motivierten Anschlägen zu äußern. Jahrelang wurde in die falsche Richtung ermittelt, dem Opfer ein kriminelles Umfeld unterstellt. Die Spur vermutete die Polizei in der türkischen Drogen-Mafia, die Sonderkommission hieß „Soko Bosporus“, die Presse schrieb von „Döner-Morden“. Und genau das kritisieren die Angehörigen bis heute, bei der Gedenkfeier am Stachus brachten die Töchter von Theodoros Boulgarides, Mandy und Michaela Boulgarides, ihren Ärger mit deutlichen Worten zum Ausdruck.

Bürgermeister Dominik Krause rief die Menschen dazu auf, sich aktiv gegen Rechtsextremismus und Rassismus einzusetzen.
Bürgermeister Dominik Krause rief die Menschen dazu auf, sich aktiv gegen Rechtsextremismus und Rassismus einzusetzen. (Foto: Johannes Simon)
Harsche Kritik an den Behörden übten Mandy Boulgarides (re.) und Michaela Boulgarides.
Harsche Kritik an den Behörden übten Mandy Boulgarides (re.) und Michaela Boulgarides. (Foto: Johannes Simon)

Davor trat Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) auf Bitten der Töchter als Redner auf. Er kritisierte den Ablauf der polizeilichen Ermittlungsarbeit und den Umgang mit den Angehörigen. Er schäme sich als Bürger dieses Landes, was diesen widerfahren sei. Nicht nur Erinnerung sei wichtig, sondern auch, dass Sicherheitsbehörden kritisch hinterfragt würden, dass sich Menschen aktiv gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzten, dass sich die Politik von rechtsextremen Parteien abgrenzen müsse, und dass deren Positionen nicht in den politischen Diskurs einsickern dürften.

Mandy Boulgarides erklärte, mehr als sechs Jahre sei ihre Familie „in einem Meer aus Marginalisierung und Generalverdacht“ geschwommen, obwohl es die Behörden besser gewusst hätten. Statt Schutz hätten sie und ihre Schwester Verhöre erhalten, sie seien gefragt worden, ob der Vater spielsüchtig oder kriminell sei. „Es wurde in alle Richtungen ermittelt, nur nicht in die richtige“, so Mandy Boulgarides. Schon der Name der Sonderkommission „Soko Bosporus“ habe für Alltagsrassismus gestanden.

„Es ging nie wirklich um Aufklärung, es ging um Vorurteile.“ Harsche Kritik hatte Mandy Boulgarides auch für die Presse übrig, die ihr und ihrer Schwester damals sogar im Treppenhaus aufgelauert habe.  „Schämen Sie sich dafür, dass Sie aus unserem Leid Schlagzeilen gemacht haben!“ Bis heute vermisse sie Antworten auf einige offene Fragen, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

Michaela Boulgarides ließ eine vorher aufgezeichnete Rede abspielen, auf die Bühne wollte sie nicht. Ihre Botschaft an die Gesellschaft: „Stellen Sie sich dem Rassismus in Deutschland.“ Man schulde dem Vater Wahrheit, Gerechtigkeit und Wut, „denn es reicht schon lange“.

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