BürgermeisterwahlDer Nachfolger des verhafteten Bürgermeisters steht bereit

Lesezeit: 3 Min.

Seeg bei Füssen stand lange ohne Führung da – nach zweieinhalb Jahren wird am Sonntag endlich neu gewählt.
Seeg bei Füssen stand lange ohne Führung da – nach zweieinhalb Jahren wird am Sonntag endlich neu gewählt. (Foto: Wolfilser/Imago)

Der frühere Bürgermeister von Seeg im Allgäu muss fünfeinhalb Jahre ins Gefängnis. Der Grund: Pflegebetrug. Sein Nachfolger Lorenz Schnatterer hat die Gemeinde bereits als Stellvertreter über Wasser gehalten – und will nun alles besser machen.

Von Florian Fuchs, Seeg

Mit dem Schlafwagen ins Kanzleramt zu fahren, das haben schon einige Kandidaten versucht. Lorenz Schnatterer, so viel darf man vorwegnehmen, wird es am Sonntag immerhin schaffen, mit dem Schlafwagen ins Büro des Ersten Bürgermeisters von Seeg zu gelangen. Man tritt dem 57-Jährigen nicht zu nahe, und er muss da schon auch selbst lachen, wenn man ihn damit konfrontiert, dass der Wahlkampf in Seeg nicht direkt anstrengend wirkt. Es gibt ja keine Gegenkandidaten. Schnatterer, parteilos, ist der alleinige Bewerber, die beiden einzigen Listen im örtlichen Gemeinderat, die Demokratischen Bürger Seeg und die Gemeinsame Zukunft Seeg, unterstützen ihn gemeinsam.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Lorenz Schnatterer hat sich ein bisschen Ruhe wohlverdient, nach aufreibenden zweieinhalb Jahren. Damals, im Winter 2022/2023, ist der Gemeinde Seeg plötzlich der Bürgermeister abhandengekommen. Markus Berktold musste in Haft, der Vorwurf: Pflegebetrug. Plötzlich stand der Ort am Forggensee ohne Führung da, Stellvertreter Schnatterer sprang ein. Weil sich die Ermittlungen und dann die Gerichtsverfahren bis zur Rechtskraft des Urteils elend lange hinzogen, kann erst dieses Wochenende neu gewählt werden. Schnatterer hatte plötzlich zwei Jobs, für lange Zeit, von Ruhe keine Spur: seine Arbeit als Key-Account-Manager in einem großen Unternehmen. Und als Bürgermeister von Seeg.

SZ Bayern auf Whatsapp
:Nachrichten aus der Bayern-Redaktion – jetzt auf Whatsapp abonnieren

Von Aschaffenburg bis Berchtesgaden: Das Bayern-Team der SZ ist im gesamten Freistaat für Sie unterwegs. Hier entlang, wenn Sie Geschichten, News und Hintergründe direkt aufs Handy bekommen möchten.

Dass plötzlich die Polizei im Ort anrückt, dass sie Geschäftsräume im Rathaus durchsucht, dass der Bürgermeister verhaftet wird – das erleben nicht viele Gemeinden in Deutschland. Wegen Betrugs in 15 Fällen und Untreue in 37 Fällen hat das Landgericht Nürnberg-Fürth den früheren Bürgermeister schließlich zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Der CSU-Mann hat nach Ansicht des für solche Delikte zuständigen Gerichts als Leiter eines örtlichen Pflegedienstes zu Unrecht und mithilfe gefälschter Belege 2,1 Millionen Euro aus dem sogenannten Pflege-Rettungsschirm abgezweigt. Er habe sich zwar, stellten die Richter fest, nicht selbst bereichert, habe aber das in finanzielle Schieflage geratene Pflege-Unternehmen mit Geld versorgen wollen.

Der frühere Seeger Bürgermeister Markus Berktold musste sich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten.
Der frühere Seeger Bürgermeister Markus Berktold musste sich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

„Ich stand in der Pflicht, es war klar, dass ich in dieser Situation nicht davonlaufen, sondern Verantwortung übernehmen werde“, sagt Schnatterer. Gerade im ersten Jahr musste der Stellvertreter vieles aufarbeiten und organisieren, was unter seinem Vorgänger, der offenbar in einigen Dingen den Überblick verloren hatte, liegen geblieben war. „Aber“, sagt Schnatterer, „wir sind zeitnah ins Handeln übergegangen, haben den Blick nach vorn gerichtet und neue Themen hochgezogen.“

Diese Themen lassen ihn jetzt nicht los, obwohl er sich nie hatte vorstellen können, eine Gemeinde als Erster Bürgermeister zu leiten. Sie sind gerade dabei, die Wasserversorgung im Ort neu aufzustellen, für knapp drei Millionen Euro. Ein neues Gewerbegebiet befindet sich in der Umsetzung, ein neues Baugebiet, der Breitbandausbau steht auf der Agenda. Schnatterer zählt Straßen- und Kanalsanierungen auf, eine teure Schulsanierung. Und er will den Schuldenstand Seegs auf ein verträgliches Maß drücken.

Als „Brückenbauer“ hat ihn die Allgäuer Zeitung gerade bezeichnet, in dem 3000-Einwohner-Ort schätzen ihn die Einheimischen als den Mann, der die Gemeinde in der schweren Zeit nicht nur über Wasser gehalten, sondern sogar vorangebracht hat. Dass das rege Vereinsleben keinen Schaden nimmt, dass die Stimmung im Ort nicht kippt, das war Schnatterer wichtig. Bei einer Bürgerversammlung hat er für seinen Einsatz Sonderapplaus erhalten.

Lorenz Schnatterer ist einziger Kandidat für das Amt des Bürgermeisters in Seeg.
Lorenz Schnatterer ist einziger Kandidat für das Amt des Bürgermeisters in Seeg. (Foto: Seeg)

Trotzdem hatte Schnatterer andere Pläne, als die nächsten sechs Jahre eine Gemeinde zu führen, mit all den Abend- und Wochenendterminen. Schon in den vergangenen zweieinhalb Jahren hatte er ja massiv zu tun, zwei Tage in der Woche stellte ihn sein Arbeitgeber für die Gemeinde frei. Viel zu wenig eigentlich, „es ist viel Freizeit draufgegangen“, sagt Schnatterer. Eigentlich wollte er in seinem Unternehmen einen Altersteilzeitvertrag abschließen, noch drei Jahre arbeiten, dann in den vorzeitigen Ruhestand. Nun wird er im Rathaus länger arbeiten, mit seiner Frau hat er sich natürlich abgestimmt, seine Kinder sind bereits erwachsen. „Ich spüre das Vertrauen, und wenn es mir keinen Spaß machen oder das Interesse fehlen würde, würde ich es nicht machen.“

Die Folgen der krummen Machenschaften seines Vorgängers werden trotzdem immer mal wieder aufploppen, auch wenn es schon lange nicht mehr das beherrschende Thema in Seeg ist. Der frühere Bürgermeister hatte sich ja geweigert, freiwillig zurückzutreten und den Weg für Neuwahlen freizumachen. Die Gemeinde musste unter Vorbehalt weiter Gehalt zahlen, das sie nun zurückfordert. „Wir werden öffentlich machen, was wir zurückerhalten, wenn es so weit ist. Das gehört zur Transparenz“, sagt Schnatterer.

Der Bürgermeister in spe hofft, dass die Bewohner von Seeg am Sonntag zahlreich zur Wahl gehen. Das Wetter ist schön, es gibt keinen Gegenkandidaten, der eine oder andere Wähler könnte da auf die Idee kommen, dass er sich den Urnengang schenkt. Aber diesen letzten Kraftakt nach der Verhaftung des Vorgängers, glaubt Schnatterer, werden sie in Seeg nun auch noch hinbekommen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ExklusivPolitik
:Schafft Kandidatin Emmi Zeulner das CSU-„Erdbeben“?

Bei Wahlen erringt Emmi Zeulner stets Topergebnisse, wenn dann Toppositionen verteilt werden, hat sie am Ende: nichts. Nun will sie aus eigener Kraft CSU-Chefin in Oberfranken werden. Die Junge Union hat vorab abgestimmt. Das Ergebnis ist deutlich.

SZ PlusVon Olaf Przybilla

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: