MedizinWie es den ersten Drei-Eltern-Babys geht

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Mitochondrien werden oft Kraftwerke der Zellen genannt, sie sind unter anderem für die Energieversorgung zuständig.
Mitochondrien werden oft Kraftwerke der Zellen genannt, sie sind unter anderem für die Energieversorgung zuständig. (Foto: Spectral via www.imago-images.de)

Die Kern-DNA stammt von Mutter und Vater, die Mitochondrien-DNA von einer Eizellspenderin: In Großbritannien sind die ersten nach diesem Verfahren gezeugten Babys bislang wohlauf. Doch die Therapie wirft Fragen auf.

Von Werner Bartens

„Als Eltern haben wir uns vor allem gewünscht, unserem Kind einen gesunden Start ins Leben zu geben“, sagt die Mutter eines Mädchens. „Wir sind überwältigt und voller Dankbarkeit.“ Eine andere Mutter sagt: „Wir sind nun die stolzen Eltern eines gesunden Babys. Jetzt ist unsere kleine Familie vollständig.“ Beide danken den beteiligten Ärzten und Forschern, die ihnen die Möglichkeit zu einer Mitochondrien-Ersatztherapie (MRT) gegeben haben. Auf diese Weise sind sie Eltern von Kindern geworden, die aller Voraussicht nach nicht an den schweren Erkrankungen leiden werden, die ihnen bei natürlicher Fortpflanzung im Erbgut höchstwahrscheinlich mitgegeben worden wären.

Die Eltern-Zitate stammen aus einer Pressemitteilung der Universität Newcastle. Es ist ungewöhnlich, dass so eine Mitteilung mit dem Schicksal von Patienten oder Angehörigen beginnt. Vermutlich spiegelt sich darin sowohl die Euphorie als auch die Irritation wider, die das Forscherteam mit der neuartigen Behandlungsmethode ausgelöst hat. In zwei Fachartikeln im New England Journal of Medicine berichten die Wissenschaftler von acht Kindern, die nach einer Mitochondrien-Ersatztherapie geboren wurden und sich bisher gut entwickeln. Diese Kinder haben Erbinformationen von drei Menschen – also gewissermaßen auch drei Eltern.

Bei der Behandlung handelt es sich um eine spezielle Art der künstlichen Befruchtung (IVF). Dafür wurde die aus dem Zellkern stammende DNA von Vater und Mutter mit der mitochondrialen DNA aus der Eizelle einer Spenderin kombiniert – dem Erbgut, das sich im Inneren der Zellkraftwerke befindet, der Mitochondrien. Die Therapie soll verhindern, dass Mutationen im Mitochondrien-Erbgut der Mutter an die Kinder weitergegeben werden und bei ihnen schwere, oft tödliche Erkrankungen auslösen. Etwa eines von 5000 Kindern weltweit wird mit krankhaften Mutationen in der Mitochondrien-DNA geboren. Die Mutter vererbt die Anlage für die Leiden weiter. Die Symptome mitochondrialer Erkrankungen sind vielfältig und können fast alle Organe betreffen.

Einer der an der neuartigen Therapie beteiligten Ärzte, Doug Turnbull von der Newcastle University, begann die internationale Pressekonferenz denn auch, indem er einen Pressebericht über Sharon Bernardi an die Wand projizierte, deren drei Geschwister und sechs Kinder an einer Erkrankung der Mitochondrien gestorben waren. „Ich habe sechs Neugeborene verloren“, lautete die Schlagzeile.

Der weitaus größte Anteil des Erbguts stammt von Mutter und Vater

Auch wenn die Mitochondrien-DNA von einer Dritten, nämlich der Eizellspenderin stammt, macht die DNA von Vater und Mutter aus dem Zellkern den weitaus größten Anteil der Erbinformation des Kindes aus. Das Vereinigte Königreich war im Jahr 2015 das erste Land, das die Drei-Eltern-Therapie zugelassen hat, um schwere mitochondriale Erbkrankheiten bei den Nachkommen zu verhindern.

61 Frauen mit mitochondrialen Mutationen wurden zwei Arten der künstlichen Befruchtung angeboten, um die Anzahl der mutierten Mitochondrien bei ihren Nachkommen und damit deren Risiko für schwere Erbkrankheiten zu verringern. Es macht allerdings einen Unterschied, ob alle Mitochondrien der Frauen mutiert sind (Homoplasmie) oder nur ein Teil (Heteroplasmie). 22 Frauen mit Homoplasmie oder ausgeprägter Heteroplasmie wurde die MRT mittels Vorkerntransfers angeboten. Hierfür wurden zunächst sowohl die mütterliche als auch die Spenderinneneizelle mit Spermien des Vaters befruchtet. Dann wurden die beiden Vorkerne, die sich kurz nach der Befruchtung bilden, aus der mütterlichen Eizelle in die zuvor entkernte Spenderinneneizelle übertragen. Acht Kinder wurden als Resultat der MRT geboren.

Nach der Geburt waren bei fünf der acht Kinder keine mutierten Mitochondrien nachzuweisen. Bei drei Kindern wurden Heteroplasmieraten von fünf, zwölf und 16 Prozent gemessen, was offenbar unter dem Grenzwert für klinische Symptome liegt. Den beteiligten Forschern zufolge entwickeln sich alle acht Kinder bisher weitgehend normal. Ein Kind zeigte hohe Blutfettwerte und Herzrhythmusstörungen, die aber behandelt werden konnten. Ein anderes Kind litt unter epileptischen Anfällen, die sich später nicht mehr zeigten. Derzeit sind drei der Kinder jünger als fünf Monate, zwei zwischen sechs und elf Monaten alt, eines zwischen zwölf und 17 Monaten, eines zwischen 18 und 23 Monaten und eines ist älter als 24 Monate.

Die zweite Methode wurde 39 Frauen mit Heteroplasmie angeboten: eine Präimplantationsdiagnostik. Damit sollten jene Embryonen identifiziert und anschließend implantiert werden, die einen niedrigen Anteil mutierter Mitochondrien aufwiesen, nämlich unter 30 Prozent. In der Folge wurden 18 Kinder geboren. Nicht für alle diese Kinder lagen Daten zur Heteroplasmie vor. War dies der Fall, betrug der Anteil zwischen null und acht Prozent.

„Dieser Tag gibt neue Hoffnung“, sagt Doug Turnbull. „Betroffene Frauen haben die Chance, dass ihre Kinder ohne diese furchtbaren Erkrankungen aufwachsen.“ Für die ebenfalls an der Studie beteiligte Mary Herbert ist der aktuelle Behandlungserfolg Grund für Optimismus. „Die Mitochondrien-Spende ist derzeit eine Methode zur Risikoverringerung“, sagt sie. „In unserer weiteren Forschung wollen wir die Lücke zur echten Prävention schließen.“

Wie gut die Methode wirklich hilft und ob die Kinder frei von weiteren Einschränkungen bleiben werden, wird die Zukunft zeigen. „Was man bisher sagen kann, ist, dass es diesen Kindern anscheinend gut geht“, sagt der Zell- und Entwicklungsbiologe Dieter Egli von der Columbia University. „Die Mutationen, die in den Eizellen der Mutter waren, sind praktisch nicht mehr vorhanden oder auf einem sehr niedrigen Niveau.“ Trotzdem gelte das, was die Autoren selbst in ihrem Fachartikel betonen: „Es braucht ein weiteres Follow-up über mehrere Jahre. Die Kinder müssen noch aufwachsen, das dauert und das heißt, diese Studie wird weitergehen.“

Lobenswert findet Egli zudem, dass nicht allen Frauen der Vorkern-Transfer angeboten wurde, sondern nur denen mit hohem Mutationslevel. Frauen mit niedrigem Level wurde stattdessen die einfachere Technik der Präimplantationsdiagnostik vorgeschlagen. „Insgesamt haben beide Prozesse gut funktioniert, mit einer guten Entwicklung der Embryonen, erfolgreichen Schwangerschaften und lebensfähigen Kindern“, so Egli.

Wenn die Risiken überschaubar sind, kann das Verbot in Deutschland noch begründet werden?

In Deutschland wäre die Behandlung nicht möglich, da eine Eizellspende nach dem Embryonenschutzgesetz verboten ist. Ob es sich beim Austausch von Mitochondrien tatsächlich um eine verbotene Keimbahnintervention handelt, sei unter Juristen jedoch umstritten, sagt Jochen Taupitz, Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim. Konkret gehe es darum, ob die isolierten Vorkerne einer Eizelle, die in eine andere Eizellhülle mit nicht defekten Mitochondrien implantiert werden sollen, noch als menschliche „Zelle“ anzusehen sind oder nicht.

„Rechtspolitisch ist das Verbot der Keimbahnintervention sehr umstritten“, sagt Taupitz. „Der Gesetzgeber hat unzumutbare Risiken für das nach der Intervention geborene Individuum befürchtet. Wenn diese Risiken aber, wie bei anderen medizinischen Verfahren, eingrenzbar sind und auf der anderen Seite – durch Verhinderung einer schweren Erbkrankheit – ein großer Nutzen für den später geborenen Menschen zu erwarten ist, kann das Verbot kaum noch begründet werden.“ Die englische Pioniertat könnte also auch das deutsche Embryonenschutzgesetz auf den Prüfstand stellen. Die Horrorvorstellung eines Designerbabys, „dessen genetische Ausstattung wie bei einem Werkstück nach dem Willen der Eltern gestaltet wird, ist jedenfalls beim Mitochondrienaustausch nicht gegeben“, so Taupitz.

Die Ethikerin Heidi Mertes von der belgischen Universität Gent gibt hingegen zu bedenken, dass der „experimentelle Charakter“ der Mitochondrien-Spende die Erkrankungswahrscheinlichkeit für die Nachkommen einer betroffenen Mutter zwar verringert, aber eben nicht völlig ausschließt. „Diese Strategie senkt das Risiko mitochondrialer Erkrankungen bei den Kindern im Vergleich zur natürlichen Fortpflanzung der Eltern, aber die sicherste Option ist immer noch die Eizellspende, die die Weitergabe der mitochondrialen Erkrankung ausschließt, anstatt das Risiko zu verringern.“ Statt von drei Eltern zu sprechen, wäre sie zudem dafür, der Mitochondrienspenderin diesen Status ausdrücklich nicht zu gewähren – sondern sie als „genetische Beitragsleisterin“ zu bezeichnen.

Mit Material vom Science Media Center

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